Pioniere

aus aller Welt

„Es war die Wahrheit!“

Erste Bekehrte ist Fundament der Kirche in Jamaika

Elizabeth Maki

Victor, Verna, Peter und Cecile Nugent

Fragte man irgendeines der Mitglieder der Kirche aus den USA, die zu Beginn der 70er Jahre in Jamaika gelebt hatten, welcher größere Zweck wohl hinter diesem Aufenthalt gestanden haben mag, so würde die Antwort wahrscheinlich meist lauten: Victor Nugent.

Der gebürtige Jamaikaner Victor Nugent gelangte im Alter von 31 Jahren auf den Weg, der ihn in die Kirche führen sollte. Er war bereits verheiratet und Vater zweier Kinder. Damals hatte er seinen Lebensstil mit langen durchzechten Nächten einfach satt. Von sich selbst angewidert richtete er seinen Blick gen Himmel.

Noch heute erinnert er sich, wie er betete: „O Gott, wenn es dich gibt, hab bitte Erbarmen mit mir. Bitte hilf mir!“

Augenblicklich schöpfte Nugent Mut, und er nahm diesen Augenblick der Selbsterkenntnis zum Anlass, sein Leben für die Familie von Grund auf zu ändern. In den nächsten Jahren legte er seine schlechten Gewohnheiten ab und begann, intensiv nach der Wahrheit zu suchen. Dies führte ihn dazu, sich erneut ernsthaft mit der Bibel zu beschäftigen. Er las sie oft und voller Begeisterung und opferte sogar seine Mittagspausen für das Schriftstudium.

Einem Arbeitskollegen aus den USA, Paul Schmeil, fiel Nugents Hingabe schon bald auf. Als er Nugent nach seiner Konfession fragte und erfuhr, dass er keiner bestimmten Kirche angehörte, lud Schmeil ihn prompt ein, mehr über seine Kirche zu erfahren.

Schmeil hatte sich nur wenige Jahre zuvor in Jamaika in der Kirche Jesu Christi taufen lassen – dies war einer Gruppe von eifrigen lieben Mitgliedern der Kirche in dem Inselstaat zu verdanken, die aus den USA ausgewandert waren. Obwohl Nugent bis dahin ähnliche Einladungen oft abgelehnt hatte, nahm er diese an. Später schrieb er diesen Sinneswandel Schmeil selbst zu, den er als „den christlichsten Menschen“ beschrieb, „den ich bis zu diesem Zeitpunkt kennengelernt hatte“.1

Schon bald besuchte Schmeil die Familie Nugent und unterwies sie im Evangelium, wobei er auch einen Grundsatz ansprach, der für Nugent ein großer „Haken an der ganzen Sache“ war:

„An jenem Abend“, schrieb er später, „erzählte mir Paul, wie der Stand der Farbigen in der Mormonenkirche war“; und damit meinte er, dass die Priestertumsvollmacht Brüdern afrikanischer Herkunft vorenthalten war.

„Mein Ego war gekränkt, dennoch hatte ich das starke Gefühl, dass die Botschaft wahr ist und dass es um mehr geht als um Stolz und Eitelkeit. Ich wandte mich im Gebet an den Herrn und die Antwort kam laut und deutlich. Es war die Wahrheit!“

Victor Nugent

Es gab nur diese eine Schattenseite, die Nugent, selbst ein Farbiger, noch sehen konnte. Alles andere, so erinnerte er sich, „passte perfekt“.

„Ich werde jenen Abend nie vergessen“, schrieb er. „Es war, als sei ein Bote Gottes zu Besuch gekommen. Die Botschaft, die er brachte, war genau das, wonach ich gesucht hatte. Eifrig las ich alle Broschüren und ging dann anschließend in den Garten, um zu meditieren und über das Gelesene nachzudenken.“

Doch die Vorenthaltung des Priestertums war ein Störfaktor.

Er schrieb: „Mein Ego war gekränkt, dennoch hatte ich das starke Gefühl, dass die Botschaft wahr ist und dass es um mehr geht als um Stolz und Eitelkeit. Ich wandte mich im Gebet an den Herrn und die Antwort kam laut und deutlich. Es war die Wahrheit! Durch den Geist hatte ich ein Zeugnis von der Wahrheit empfangen.“

Die Familie Nugent lernte von Schmeil und anderen Mitgliedern des Zweigs Mandeville in Jamaika mehr über die Kirche. Sie gingen zu Familienabenden, lasen das Buch Mormon, beteten, besuchten die Versammlungen der Kirche und wurden schnell in die Gemeinschaft der Heiligen in Jamaika aufgenommen.

„Je mehr ich hörte, desto größer wurde meine Freude darüber, dass ich endlich das gefunden hatte, wonach ich gesucht hatte“, so Nugent. „Wir waren von der Wahrheit überzeugt und unsere Überzeugung verfestigte sich.“2

Victor Nugent, seine Frau Verna und ihr ältester Sohn, Peter, ließen sich am 20. Januar 1974 taufen und wurden Mitglieder der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage.

„Selten habe ich einen Menschen mit so unbeirrtem Glauben an den Herrn und an dessen Diener getroffen“, schrieb Richard Millet, der als er Präsident der Florida-Mission Fort Lauderdale war, Nugent ein paar Jahre später kennenlernte „Victor Nugent gehört zu den wenigen, die das Evangelium nicht nur begriffen haben, sondern sich auch von ganzem Herzen bemühen, nach dessen Weisungen zu leben. Es besteht für mich kein Zweifel, dass er, seine Frau und die ganze Familie zu den Auserwählten des Herrn gehören.“3

Knapp drei Jahre lang gedieh der kleine Zweig in Jamaika, während Familien aus den USA in das Gebiet zogen und auch wieder fortzogen. Nach einer Weile jedoch zogen Familien aufgrund verschiedener Umstände fort, ohne dass neue hinzukamen. Da Nugent das Priestertum nicht tragen durfte, gab es in dem Inselstaat niemanden mehr, der in der Kirche ein Führungsamt ausübte.

Immer wenn eines der Kinder so weit war, dass es eine heilige Handlung wie Taufe oder Kindessegnung empfangen konnte, reiste das Ehepaar Nugent mit ihren Kindern zum Missionsheim in Florida. Abgesehen davon waren sie auf sich allein gestellt.

Dennoch gelang es ihnen irgendwie, dem Glauben treu zu bleiben. Mit einem anderen Bruder aus Jamaika, Amos Chin, der sich der Kirche in Montreal angeschlossen hatte, traf sich Familie Nugent wöchentlich, um in den heiligen Schriften zu lesen und Gott zu verehren, so gut es ihnen ohne Priestertum möglich war. Aufgrund von Victor Nugents Beispiel und seinen Bemühungen schloss sich der Gruppe im Februar 1978 eine weitere Familie an: Errol und Josephine Tucker mit ihren Kindern.

Blaine Nichols, einer der US-Amerikaner, der Famiille Nugent auf ihrem Weg zur Mitgliedschaft in der Kirche ebenfalls geholfen hatte, erzählte, dass die Mitgliederfamilien, die damals in dem jamaikanischen Zweig Freundschaften geschlossen hatten, sich ab und zu fragten, was wohl aus der Kirche in diesem Land werden würde.

Er schrieb später: „Wir fragten uns angesichts der großen Herausforderungen, denen sie sich gegenübersahen: Was kann bloß aus dem Samen erwachsen, den wir auf jamaikanischem Boden hatten säen dürfen?“

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Jamaikaner, die bei der Weihung ihres Landes im Dezember 1978 dabei waren. Hintere Reihe, von links: Michael Morris, Grace Kerr, Freundin der Kirche, und die Mitglieder Josephine Tucker, Errol Tucker, Victor Nugent, Amos Chin; vordere Reihe, von links: Dwight Tucker, Debbie Tucker, Cecile Nugent, Peter Nugent, Verna Nugent, Mark Nugent.

Doch die Fragen stellten sich nicht lange. So schrieb Nichols: „Mit der richtigen Saat jetzt im Boden fehlte nur noch der nährende Regen.“4

Dieser Regen fiel im Juni 1978, als die Beschränkung hinsichtlich des Priestertums aufgehoben wurde. Damit wurde den jamaikanischen Pionieren die Tür zu einer völlig neuen Welt aufgetan.

„Ich war in meinem Büro in Alpart“, berichtet Nugent über diesen Tag. „Es war zwei Uhr nachmittags, genauer gesagt sechs Minuten nach zwei – so habe ich es vermerkt –, als mir [Richard Millet] aufs Band sprach und um Rückruf bat. Er fragte: ‚Bruder Nugent, sitzen Sie gut?‘ Ich bejahte. Dann überbrachte er mir die Neuigkeit. Ich konnte es erst gar nicht glauben. Hätte ich es nicht direkt vom Missionspräsidenten gehört, hätte ich es wahrscheinlich nicht geglaubt. Ich stand einfach nur unter Schock, denn damit hatte ich am allerwenigsten gerechnet. … Eine Weile lang war ich sprachlos. Ich war einfach überwältigt. Damit hatte ich überhaupt nicht gerechnet. Ich fragte bloß: ‚Was soll das heißen?‘ Natürlich wusste ich genau, was das bedeutete, und ich begann zu zittern. Meine Augen füllten sich mit Tränen.“5

Kurze Zeit später empfing Nugent das Priestertum und er und seine Familie bekamen einen Tempelschein. Die Familie wurde im September 1978 im Salt-Lake-Tempel aneinander gesiegelt.

„Es war ein absolut himmlisches Gefühl!“, erzählte Nugent. „Als ich durch die Türen des Tempels schritt, konnte ich immer noch nicht glauben, dass ich wirklich dort war. Ich hatte das Gefühl, ich sei im Himmel und lauter Engel gingen dort umher.“6

Nugent wuchs rasch in seine neuen Priestertumsaufgaben hinein. Nur wenige Monate nach seiner eigenen Ordinierung übertrug er Errol Tucker das Melchisedekische Priestertum, und zwar auf eine Weise, erzählte Millett, die von solcher Würde zeugte, als „hätte er schon Jahre an Erfahrung“. Elder M. Russell Ballard, der Jamaika gerade für die Verkündigung des Evangeliums geweiht hatte, war ebenfalls bei der Ordinierung zugegen und sprach später „des Öfteren … über die Art und Weise, wie Bruder Nugent die Ordinierung an Bruder Tucker vollzogen hatte. Er erklärte: ‚Man hätte denken können, dass Bruder Nugent angesichts dessen, wie er Bruder Tucker ordinierte und ihm einen Segen spendete, schon seit 50 Jahren Mitglied der Kirche war.‘“7

Millet schrieb es später der standhaften Familie Nugent zu, dass „ihr allein das Wachstum der Kirche in ganz Jamaika zu verdanken war“.

„Wo auch immer die Familie Nugent sich niederließ, fiel das Evangelium auf fruchtbaren Boden und die Gemeinden dort konnten ein deutliches Wachstum verzeichnen. Ein solches Beispiel und eine derartige Verpflichtung dem Herrn gegenüber findet man nur selten.“8

„Ich könnte hier tagelang sitzen und erzählen, was alles geschah, damit die Kirche in Jamaika fest verankert werden konnte und Victor Nugent Mitglied der Kirche wurde. Und als es endlich so weit war, zogen alle fort.“

Jay Bills

Tatsächlich ruhte die noch junge Kirche in Jamaika zum Großteil auf den Schultern der Familie Nugent. Eine Stunde vor Beginn der sonntäglichen Versammlungen fuhr Victor oft in seinem Kleinbus herum und holte alle möglichen Leute zur Kirche ab. Anschließend fuhr er sie alle wieder nach Hause.9 Elder Joseph B. Wirthlin erinnerte sich daran, wie er Jamaika 1980 besuchte und mit Nugent zusammenkam. Es war gerade zwei Jahre her, seit die Kirche die Missionsarbeit dort offiziell aufgenommen hatte. Aus den Berichten, die Elder Wirthlin erhielt, ging hervor, dass in dem Zweig die Heimlehr- und die Besuchslehrarbeit zu 100 Prozent erledigt wurde. Die Anwesenheit in der Abendmahlsversammlung lag ebenfalls bei 100 Prozent, und jedes Mitglied zahlte seinen vollen Zehnten.10

Die Familie Nugent blieb der Kirche in Jamaika noch über zwei Jahrzehnte lang eine starke Stütze, ehe sie im Jahr 2000 in die USA auswanderte, wo alle fünf Kinder von Victor und Verna einen Abschluss an der Brigham-Young-Universität erwarben.11

Jay und Shirley Bills, zwei der Mitglieder der Kirche, die seinerzeit in Jamaika gelebt und dort geholfen hatten, das Fundament des Evangeliums für Familie Nugent zu legen, erkennen rückblickend auf diese Zeit eines ganz klar:

„Ich könnte hier tagelang sitzen und erzählen, was alles geschah, damit die Kirche in Jamaika fest verankert werden konnte und Victor Nugent Mitglied der Kirche wurde“, so Jay Bills. „Und als es endlich so weit war, zogen alle fort.“12

Fußnoten

[1] Mündlicher Geschichtsbericht von Victor Nugent, interviewt von Clinton D. Christensen, 2003, Seite 4; The James Moyle Oral History Program, Abteilung Archive, Geschichtsabteilung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Salt Lake City, Utah, USA

[2] Victor Nugent, „More Than Pride and Vanity“, aus: No More Strangers, vol. 3, Hartman und Connie Rector, Hg., Bookcraft, Inc., Salt Lake City, 1976, Seite 57f.

[3] Richard Leonard Millett, „A history of The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints in the Caribbean, 1977–1980“, 1992, Archiv der Kirche, Seite 113

[4] Blaine Nichols, „Blaine Nicholsʼ Account of the Original, Expatriate, LDS Saints in Jamaica“, Archiv der Kirche

[5] Mündlicher Geschichtsbericht von Victor Nugent, interviewt von Clinton D. Christensen, 2003, Seite 11f.; The James Moyle Oral History Program, Abteilung Archive, Geschichtsabteilung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Salt Lake City, Utah, USA

[6] Mündlicher Geschichtsbericht von Victor Nugent, interviewt von Clinton D. Christensen, 2003, Seite 13; The James Moyle Oral History Program, Abteilung Archive, Geschichtsabteilung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Salt Lake City, Utah, USA

[7] Richard Leonard Millett, „A history of The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints in the Caribbean, 1977–1980“, 1992, Archiv der Kirche, Seite 120f.

[8] Richard Leonard Millett, „A history of The Church of Jesus Christ of Latter-day Saints in the Caribbean, 1977–1980“, 1992, Archiv der Kirche, Seite 113

[9] Chris Morales, „Jamaican Student fulfills fatherʼs wish“, LDS Church News, 1. Dezember 2007

[10] Joseph B. Wirthlin, „Let Every Man Learn His Duty“, Herbst-Generalkonferenz 1980

[11] Tad Walch, „Jamaicanʼs dream soon to come true at BYU“, Deseret News, 26. November 2007

[12] Mündlicher Geschichtsbericht von Jay P. und Shirley N. Bills, interviewt von Clinton D. Christensen, 2003, Seite 35; The James Moyle Oral History Program, Abteilung Archive, Geschichtsabteilung der Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage, Salt Lake City, Utah, USA