Lillian Ashby and the Dharmarajus

William Kesler Jackson
11 June 2014

Wie eine Frau half, den Samen des Evangeliums in Indien zu pflanzen

Edwin Dharmaraju und seine Familie in Samoa

Jedes Jahr pilgern Tausende Bewunderer die üppigen Hänge des Berges Vaea hinauf, um die türkisfarbene Bucht von Vaiusu auf der samoanischen Insel Upolu überblicken zu können. Sie kommen, um die Begräbnisstätte des berühmten britischen Schriftstellers Robert Louis Stevenson – Autor des beliebten Romans Die Schatzinsel – zu besuchen, der hier im Alter von nur 44 Jahren verstarb.

Eines Tages wird vielleicht auch ein anderer, nahegelegener Grabstein von Tausenden Menschen aufgesucht, um einer Frau Ehre zu erweisen, deren stiller Beitrag zur Verbreitung des wiederhergestellten Evangeliums beinahe völlig unbemerkt blieb. Obwohl sie in Kopenhagen in Dänemark geboren wurde, starb auch sie auf Upolu, und zwar im jungen Alter von 37 Jahren. Sie hieß Lillian Toft Ashby.1

Als Lillian und ihr Mann Richard 1975 ihre Missionsberufung in ein Krankenhaus in Samoa erhielten, hatte ihre Familie bereits einige Behandlungen gegen Lillis Krebserkrankung durchgemacht. Die Freunde der Familie, die Lillians Gesundheitszustand kannten, waren überrascht, als sie hörten, dass das Ehepaar Ashby mit seinen fünf Kindern im Alter von vier bis zwölf Jahren im Schlepptau in den Pazifikraum reisen würden, wo doch der Krebs noch nicht lange am Abklingen war. Ein guter Freund erinnerte sich: „Von so einer Berufung hatte ich vorher noch nie gehört und habe es später auch nie wieder.“2

Lilli und Richard besuchten vor ihrer Abreise den Los-Angeles-Kalifornien-Tempel und trafen dort zufällig auf Präsident Spencer W. Kimball. Präsident Kimball gab Lillian auf Richards Wunsch hin einen Segen. Dr. Ashby hatte vielleicht gehofft, seiner Frau würde verheißen werden, dass sie vollständig geheilt werden und der Krebs nie wiederkehren würde. Stattdessen verhieß der Prophet Lilli schlicht, dass sie in der Lage sein werde, „ihrer Missionsberufung bis zum Schluss nachzukommen und ihre Mission erfolgreich zu erfüllen“. Das war alles.3

Mit Glauben an ihre Berufung und an Präsident Kimballs Segen brach Familie Ashby auf und kam im Januar 1976 in Samoa an.

Kaum angekommen, machten Missionare Lillian und Richard mit einer anderen Gastfamilie bekannt: dem gebildeten und weltmännischen Dr. Edwin Dharmaraju – einem renommierten Entomologen –, seiner Frau Elsie und ihren Töchtern Lata, Asha und Sheila. Edwin und Richard verband die ähnliche wissenschaftliche Ausbildung und sie verstanden sich schnell. Sheila weiß noch, wie Lillian die Familie mit ihrer Herzlichkeit und ihrem „wunderbaren Sinn für Humor“ für sich gewann.4 Die beiden Familien freundeten sich eng miteinander an.

Obgleich das Ehepaar Dharmaraju von den Familienabendtraditionen der Familie begeistert war, eine Einladung zu einem Tag der offenen Tür in der Kirche annahm und zwei seiner Töchter sogar für das kircheneigene Church College von Westsamoa arbeiteten, war es nicht daran interessiert, sich eingehend mit der Kirche zu beschäftigen. Edwin war in einer Familie aufgewachsen, die tief im anglikanischen Glauben verwurzelt war, und Elsie stammte aus einer treuen Baptistenfamilie.

Trotz allem fühlte sich Lillian dazu gedrängt, das Ehepaar Dharmaraju einzuladen, sich gebeterfüllt mit den Lehren der Kirche zu befassen. Richard war davon weniger überzeugt. Edwin und Elsie war ihre Familie sehr wichtig. Richard meinte, dass sie die Religion ihrer Familie bestimmt behalten wollten. Lillian aber war fest entschlossen. Sie war sicher, dass der Geist ihr dies zuflüsterte. Auch wenn Richard zögerte, entschlossen sich die Ashbys dazu, das Thema beim nächsten Besuch anzusprechen.

Ihre Einladung wurde so aufgenommen, wie Richard es befürchtet hatte. Dr. Edwin fragte Richard, wie seine eigene Familie darauf reagieren würde, wenn er die Kirche verlassen würde.

„Sie wären wohl fassungslos und natürlich enttäuscht“, gab Richard zu.

„Ich entstamme einer Familie, die seit vielen Generationen der anglikanischen Kirche angehört. In dieser Kirche sind wir schon über 100 Jahre“, erklärte Edwin. „Würden wir unsere Kirche verlassen und uns einer anderen anschließen, hätte das die größte Enttäuschung zur Folge, die man sich vorstellen kann. Genauso wenig, wie Sie sich einen Wechsel vorstellen können, können wir einen solchen Schritt auch nur in Erwägung ziehen.“

Dr. Ashby schrieb später über Edwins direkte Antwort: „Ich wusste nun, dass ich mit meiner ersten Reaktion [auf Lillians Beharrlichkeit] richtig lag. Es war klar, dass [sie] niemals erwägen würden, die Konfession zu wechseln.“5

Doch Lillian wollte es dabei noch immer nicht bewenden lassen und drängte Richard, es noch einmal zu versuchen.

Unglücklicherweise war ihr Krebs wieder bösartig geworden und ihr Gesundheitszustand verschlechterte sich zusehends. „Wir beteten weiterhin für [Edwin und Elsie]“, erinnert sich Dr. Ashby. Sie versuchten, ihre Freunde hin und wieder zu besuchen, doch wurde es schlichtweg unmöglich, weil Lillian immer schwächer wurde. Das Ehepaar Dharmaraju sah die Liebe und den Humor, die Lilli auch an den Tag legte, während sie Schmerzen litt und es körperlich immer weiter bergab mit ihr ging.6

Als sie spürte, dass ihr irdisches Leben bald vorüber sein würde, schrieb Lillian ihren Freunden ihr Zeugnis auf. Dann gab sie ihrem Mann ihre in weißem Leder gebundene Dreifachkombination (das Buch Mormon, das Buch Lehre und Bündnisse und die Köstliche Perle) und bat ihn nachdrücklich darum, diese samt ihrem Zeugnis Edwin und Elsie zu geben, sollte sie sterben. „Fordere sie auf, darin zu studieren und mein Zeugnis zu lesen“, bat sie ihn.7

Das versprach er ihr.

Im August 1976, nach beinahe neun Monaten ihrer Tätigkeit in Samoa, verstarb Lillian Toft Ashby in einem Krankenhaus in Apia. Sie wurde auf einem Friedhof am Stadtrand begraben, in einem Bereich, der speziell für Missionare der Kirche reserviert war. Ein halbes Dutzend Grabsteine standen dort, der älteste stammte aus dem 19. Jahrhundert. Edwin, Elsie und ihre drei Töchter nahmen am Trauergottesdienst für Lilli teil. Richard Ashby hielt seiner verstorbenen Frau gegenüber Wort und gab Lillians Schriften mit dem weißen Ledereinband dem Mann, der unmissverständlich erklärt hatte, dass er niemals die Kirche seiner Familie verlassen werde.

Richard Ashby bekam bald darauf selbst schwere gesundheitliche Probleme, die teilweise auf einen Autounfall zurückzuführen waren, und kam für mehrere Wochen ins Krankenhaus. Nach Angst und Schrecken, jedoch erst mit Beendigung seiner Mission, kehrten er und seine fünf Kinder in die Vereinigten Staaten zurück.

Ein paar Mitarbeiter beim Humanitären Dienst der Kirche bezeichneten das, was die Familie Ashby auf Mission erlebt hatte – Leid, Unfälle und Tod – als eine einzige große Tragödie. Andere zeigten sich bestürzt. Elder James O. Mason vom Zweiten Kollegium der Siebziger zum Beispiel war überrascht, dass alles so aus dem Ruder gelaufen war und sich nichts zum Guten gewendet hatte, da er sich so sicher gewesen war, dass „die Berufung des Ehepaars Ashby inspiriert gewesen war“.8

Was aus Dr. Edwin, Elsie und ihren Töchtern wurde, ist wohlbekannt, zumindest unter den Mitgliedern der Kirche in Südindien. Edwin Dharmaraju – womöglich bewogen von Lillians Mut im Angesicht des Todes – schlug die in weißem Leder gebundene Dreifachkombination auf, die ihm auf ihren Wunsch hin geschenkt worden war. Er las ihr Zeugnis und befasste sich gründlich mit dem Buch Mormon. Elsie tat es ihm gleich. Bald darauf unterwiesen Vollzeitmissionare die gesamte Familie. Lata, Asha und Sheila ließen sich am 4. März 1977 taufen; Edwin und Elsie ließen sich kurze Zeit später gemeinsam mit ihrem Sohn Srini taufen, als dieser aus Indien kam und sie besuchte, um die heilige Handlung zu empfangen.

Im selben Jahr noch bot Latas Hochzeit der Familie Dharmaraju die Gelegenheit, ihren Verwandten zu zeigen, wie sehr sie das wiederhergestellte Evangelium begeistertete. Nach der Reise schrieben Edwin und Elsie an den Hauptsitz der Kirche und baten darum, dass Missionare zu ihrer Familie nach Indien geschickt würden, um sie zu unterweisen. Zu ihrer Überraschung wurden sie bald selber als Missionare auf eine besondere dreimonatige Mission berufen. Dafür konnten sie eine bevorstehende Freistellung von ihrer Arbeit nutzen. Edwin erinnert sich daran, wie sie im Dezember 1978 im Flugzeug saßen: „Wir erkannten plötzlich, wie groß unsere Verantwortung als Missionare war, und wir bekamen es mit der Angst zu tun. Wenn wir irgendetwas Falsches sagen oder tun würden, würde das der Kirche und ihrer Zukunft schaden.“ Um sich zu beruhigen, schlug Elsie Dharmaraju die ihnen nun vertraute Dreifachkombination auf. „Hebe dein Herz empor und freue dich“, las sie, „denn die Stunde deiner Mission ist gekommen … Ja, ich werde den Menschen das Herz öffnen, und sie werden dich empfangen. Und ich werde durch deine Hand eine Kirche aufrichten.“9

“Ich werde den Menschen das Herz öffnen.”

Heutzutage interessiert sich ein Mitglied der Kirche, das nach Indien reist, vielleicht dafür, weshalb der erste Pfahl der Kirche in Hyderabad und nicht in der Hauptstadt Neu Delhi oder in den stärker christlich geprägten Bundesstaaten im Süden gegründet wurde. Die Antwort liegt zum Teil in dem Glauben der 22 Bekehrten, die sich im Dezember 1978 in Hyderabad taufen ließen. Nach 125 Jahren, in denen man von Zeit zu Zeit versucht hatte, die Kirche auf dem Subkontinent aufzurichten, machten sie nun den Anfang.10 Im Jahr 2014 lag die Anzahl der Mitglieder in Indien bei fast 12.000.

Doch begann alles auf der Insel Upolu in Samoa. „Wir schätzen die Familie Ashby sehr“, sagen die Töchter des Ehepaars Dharmaraju noch Jahrzehnte nach ihrer Taufe. „Sie waren die erste Mormonenfamilie, die wir kannten.“ Lillians in weißes Leder gebundene Schriften sind auch weiterhin ein kostbarer Schatz der Familie.11

Lillian war berufen worden, in Samoa zu dienen, wo die Bevölkerungszahl knapp über 150.000 betrug. Die Zeit dort war für ihre Familie in vielerlei Hinsicht schwierig, und bestimmt fragte sie sich ab und zu, ob sie etwas hatte bewirken können. Warum hatte der Herr diese krebskranke Frau aus Dänemark, die zudem Mutter von fünf Kindern war, auf eine abgelegene Pazifikinsel geschickt? Vielleicht bestand ihre eigentliche Aufgabe darin, den Samen des Evangeliums endlich in Indien einzupflanzen, wo über eine Milliarde Menschen leben.

Bestimmt werden eines Tages Inder und andere Menschen Upolu als eine echte „Schatzinsel“ ansehen.